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Franz Huter Das Jahr 1809 in der Tiroler Geschichte.
Im Jahre 1809 hat Tirol das goldenste Blatt seiner großen Geschichte
geschrieben. Ein Bergvolk von wenigen hunderttausend Seelen hatte den Mut, sich
mehrmals gegen die gefürchtete Macht Napoleons zu erheben, dessen wahrhaft
europäisches Reich sich von der Nordsee bis zur Südspitze Italiens und
vom Atlantik bis an die russischen Sümpfe erstreckte.
I.
Welche Vermessenheit, so mochte es scheinen, bei diesen wenigen Männern in
Tirol, mit einigen tausend Stutzen und altertümlichen Hieb- und Stichwaffen
den sieggewohnten, wohlgerüsteten Truppen schlachterprobter Generale
entgegenzutreten und die Verwüstung des Landes, den Verlust von Hab und Gut
und nicht zuletzt des Lebens auf sich zu nehmen, zumal bei diesem
Kräfteverhältnis jede Auflehnung als aussichtslos gelten mußte.
Napoleon hat, in ohnmächtiger Wut über den Widerstand des Bergvolkes,
den Tirolern härtestes Schicksal angedroht. Nach der ersten Befreiung
äußerte er sich: "Eigentlich sollte ich dieses Land
verbrennen", und nach der zweiten glaubte er, damit Ernst machen zu sollen.
Denn er gab dem Oberkommandierenden der in Tirol einrückenden
Streitkräfte, Marschall Lefebvre, folgenden Befehl: "Meine Absicht ist
daß Sie bei Empfang des Gegenwärtigen in den tirolischen Bezirken 150
Geiseln fordern und wenigstens sechs große Dörfer sowie die
Häuser der Führer plündern und niederbrennen lassen. Und daß
Sie erklären, das Land würde in Blut und Eisen aufgehen wenn nicht alle
Gewehre, mindestens 18.000, abgeliefert würden." Die Einäscherung
der Häuser sollte nach diesem Befehl so gründlich geschehen, daß
auch nicht eine Spur der betroffenen Orte übrigbleibe, auf daß in
Hinkunft dies ein Denkmal sei für die Rache an den Bergbewohnern. Der Befehl
endete mit dem Anruf: "Seien Sie schrecklich!" Nach einem anderen
Befehl waren die Geiseln aus den Führern zu nehmen und sollten diese in die
Festung Straßburg gebracht werden.
Nur ein Teil dessen, was man hier androhte, wurde Wirklichkeit. Aber auch das
konnte genügen, um jeden Widerstand im Keime zu ersticken. Beim ersten
Einbruch Lefebvres im Mai sind viele Bauernhöfe zwischen Paß Strub und
St. Johann, sind Kirchdorf und Schlitters, Schwaz und Scharnitz in Flammen
aufgegangen und wurde wahllos unter den Bewohnern Nordosttirols gewütet, so
daß z. B. bei St. Johann ein Massengrab für mehr als 100 zivile Opfer
aufgegraben werden mußte. Da und dort wurden gefangene Schützen auf
dem nächsten Baum am Wege aufgeknüpft und z. B. in Schwaz wehrlose
Bürger hingemordet. Beim nächsten Einbruch des Feindes im Juli traf
Seefeld das harte Los der Einäscherung, wurden um Lienz zehn Dörfer in
Brandstätten verwandelt, auch die Weiler Ried und Niederflans bei Sterzing
und Entbruck bei Prutz im Oberinntal angezündet. Lefebvre selbst sparte in
der Sachsenklemme nicht mit der Drohung von Sengen und Brennen; auf seinen Befehl
wurden Zollgebäude und Ballhaus am Lueg unterm Brenner und, erst nach
Beendigung des Kampfes, die umkämpften Häuser im Bereich des
Bergiselgeländes angezündet.
Die Geiseln unter den Führern auszuheben kam Lefebvre nicht dazu, da er
ihrer nicht habhaft werden konnte; dafür fällte das von ihm eingesetzte
Bluttribunal Todesurteile gegen andere Kämpfer, die ergriffen worden waren.
Auch General Rusca in Lienz ließ zum abschreckenden Beispiel mehrere
Schützen hinrichten und General Rouyer in der Sachsenklemme einen Gefangenen
vor den Augen der Kämpfer füsilieren. An der Pontlatzer Brücke
wurde ein Gefangener zu Tode gemartert.
II.
Das alles vermochte den Geist des Widerstandes nicht auszutreten, hat ihn im
Gegenteil noch beflügelt, weil es jenen Recht gab, die vom Feinde nicht
Gnade durch Unterwerfung erwarteten, vielmehr der vom Sieger drohenden Rache
durch den eigenen Sieg zuvorkommen wollten. Dreimal wurde der Feind von den
Schützen und Landstürmern aus dem Lande vertrieben. Das erste Mal Mitte
April, noch bevor das mit der Eroberung Tirols betraute österreichische
Korps unter Marquis Chasteler sich richtig in Szene setzen konnte; es verblieb
ihm im wesentlichen nur mehr die Aufgabe, zusammen mit dem Tiroler Aufgebot unter
Andreas Hofer den Boden Welschtirols vom Feinde zu säubern. Das zweite Mal
Ende Mai nach dem ersten Einbruch des bayrischen Korps, das Napoleon unter
Marschall Lefebvre zur Befriedung Tirols entsandt hatte. Lefebvre hoffte, durch
die geschilderten Greueltaten das Volk von Tirol eingeschüchtert und durch
die Besetzung Innsbrucks seine Aufgabe gelöst zu haben. Aber die von ihm als
Besatzung zurückgelassene bayrische Division mußte nah den ersten
beiden Bergiseltreffen das Inntal wieder räumen. An jenen Gefechten hatten
Reste des österreichischen Korps, das im übrigen, von Erzherzog Johann
abberufen bereits durch das Pustertal abgezogen war, mitgekämpft; der
österreichische Oberstleutnant Ertel nahm als Stabschef Hofers wesentlich an
den Erfolgen teil. Das dritte Mal, im August 1809, befreiten sich die Tiroler
Aufgebote ganz allein: auch jene Reste österreichischer Truppen hatten nach
dem Znaimer Waffenstillstand zwischen Erzherzog Karl und Napoleon vom 12. Juli,
der die Räumung Tirols durch die k. k. Truppen vorsah, das Land bereits
verlassen, als Andreas Hofer und den Seinen die Schläge in der
Sachsenklemme, an der Pontlatzer Brücke und schließlich in der dritten
Bergiselschlacht gelangen. Marschall Lefebvre war 14 Tage zuvor mit einem
verstärkten Korps von hochgeschwellten Hoffnungen getragen, wieder in Tirol
eingerückt; mit blutrünstigen Manifesten und mit der materiellen
Übermacht seiner Truppen hatte er das Tiroler Volk einschüchtern und
das bäuerliche Aufgebot zu Paaren treiben zu können geglaubt jetzt
wußte er kein anderes Mittel mehr als das der Flucht. Er, der sich noch vor
der dritten Bergiselschlacht - nach einem Brief an Napoleon - lieber als zu weichen
unter den Ruinen Innsbrucks begraben lassen wollte, mußte nun des
erbitterten Kaisers Frage entgegennehmen: "Nun, Herr Marschall, haben Sie
die Tiroler Bauern Kriegstaktik gelehrt?"
Das Schicksal des Landes wurde gleichwohl nicht in Tirol selbst entschieden; die
Würfel waren, wenigstens militärisch, in Wagram (5./6. Juli) bereits
gefallen, bevor der Tiroler Adler seine Schwingen neuerdings siegreich
entfaltete. Napoleon hatte den Waffenstillstand von Znaim nicht zuletzt deswegen
geschlossen, um Tirol endgültig befrieden zu können.
Zwar folgten auf jenen 13. August, den Tag der dritten Bergiselschlacht, die neun
Wochen des H o f e r s c h e n R e g i m e n t s in der Innsbrucker Hofburg -
Symbol und Triumph des bäuerlichen Standes, der die tragende Kraft der
Erhebung gewesen war. Sie waren verdüstert im Hangen und Bangen um die
Zukunft des von allen Seiten vom Feinde umschlossenen Landes. Der Frieden von
Schönbrunn (14. Oktober) zwischen Kaiser Franz und Napoleon zerstörte
dann, wie es schien endgültig, jede Aussicht auf eine glückliche
Wendung der Dinge. Aber die Tiroler Führer schenkten den Friedensnachrichten
keinen Glauben. Der kaiserliche Hof hat Andreas Hofer zu spät und zu wenig
klar von der neuen Lage unterrichtet und sich damit an den Opfern der vierten
Erhebung mitschuldig gemacht. Noch am Tage, da der Sandwirt auf der Flucht vor
dem zum dritten Male eingebrochenen Feind die Landeshauptstadt verließ,
konnte er so an den österreichischen Kaiser schreiben: "Retten Sie uns,
sonst sind wir verloren. Tirol ist bereit, für Euer Majestät seinen
letzten Blutstropfen zu verspritzen, ich bürge dafür. Aber ohne
Unterstützung können wir es nicht länger aushalten und dann gehen
wir einem grenzenlosen Elend und allgemeiner Verwüstung entgegen. Ich und
das ganze Land werfen uns in E. M. Arme!"
Andreas Hofer hat auch ohne diese Hilfe, und obwohl sich die Friedensnachrichten
bestätigten, noch einmal die Waffen gegen die von allen Seiten
anstürmende feindliche Übermacht erhoben. Das Wort des Kaisers Franz,
das er in unrichtiger Einschätzung des Erfolges von Aspern in einer
Proklamation an die Tiroler aus Wolkersdorf (Ende Juni) gebraucht hatte, wirkte
verhängnisvoll nach. Er hatte damals feierlich versprochen, daß er
keinen Frieden schließen werde, der nicht Tirol wieder an Österreich
brächte. Hofer konnte, wie er selbst sagte, einfach nicht glauben, daß
der Kaiser einen so schlechten Frieden geschlossen habe. Daraus erklärt sich
nicht zuletzt, daß Hofer immer wieder die in Stunden der Einsicht
erlassenen Abwiegelungsschreiben widerrief, das letzte Mal am 12. November 1809.
So ist in diesen Novemberwochen noch bei Meran, bei Bozen, bei Brixen und im
Pustertale erbittert gerungen worden, bis schließlich um den 10. Dezember
aller Widerstand in der buchstäblichen Überflutung des Landes durch
feindliche Truppen ertrank. Vorübergehende Erfolge der Schützen an der
Mühlbacher Klause, am Küchelberg und im Passeier hatten zur
Verlängerung des aussichtslos gewordenen Kampfes beigetragen. Diese letzten
Wochen haben noch viele Zeugnisse der Tapferkeit gesehen und die Treue zu
Österreich bis zum äußersten bewähren heißen. In
keiner Phase der Erhebung sind so h o h e O p f e r a n G u t u n d B l u t
gebracht worden. Nicht nur im blutigen Kampf, auch unter der Geißel der
Rache: allein um Brixen gingen am 6. Dezember 200 Bauernhöfe und 28
Edelsitze in Flammen auf, und allein im Pustertale und um Brixen fielen an die
zwei Dutzend Kämpfer und Nichtkämpfer unter den Salven
französischer Exekutionskommandos. Wie in einem gewaltigen Drama fand
endlich die heldenmütige Bewährung des Bergvolkes in der
Verklärung Peter Sigmayrs, Peter Mayrs und Andreas Hofers Krönung und
Abschluß. Ihr Märtyrertod als Helden der Kindesliebe, der
Wahrheitsliebe und der Freiheitsliebe weist hinüber in eine andere Welt !
III.
Fürwahr ein Heldenlied, wie es sich in der Geschichte der Völker dieser
Erde sonst kaum ein Volk selbst gesungen hat! W o h e r, so wollen wir fragen,
diese E r f o l g e, die die Welt aufhorchen ließen, woher die K r a f t,
die immer neue Schicksalsschläge überwand, woher die H a l t u n g in
Glück und Unglück, die selbst den Feind zur Bewunderung zwang, woher
diese ganze große Erscheinung des Tiroler Heldenkampfes, die an
Größe noch gewinnt, wenn wir sie von den Schlacken der Legende
befreien und neben all dem Licht die Schatten nicht übersehen, die jedem
Menschenwerk eignen? Man wird versucht sein, die Antwort auf diese Fragen in den
u n m i t t e l b a r e n A n t r i e b e n d e r E r h e b u n g zu finden:
vor allem in der Treue zum Hause Österreich, mit dem Tirol durch fast 450
Jahre verbunden gewesen war, und in der Ablehnung des Napoleonischen Machtwortes,
das im Preßburger Frieden vom 26. Dezember 1805 das Land an den bayrischen
Vasallenkönig gegeben hatte. In der Hoffnung auf die militärische Hilfe
Österreichs, das da im Frühjahr 1809 den Präventivkrieg gegen
Frankreich eröffnet hatte, um in letzter Stunde die Fesseln zu
zerreißen, die der Diktator Europas dem Kaiserstaat anzulegen drohte, und
in dessen Feldzugsplan Tirol seine alte Rolle als Schlüssel zwischen
Deutsch- und Welschland neu bewähren sollte. In den Enuntiationen des
Kaisers Franz, die da von der Wiedervereinigung Tirols mit Österreich
sprachen, ja noch mehr diese zur Conditio sine qua non des zukünftigen
Friedens mit Frankreich erklärten. In den Aufmunterungen, welche Andreas
Hofer und die Seinen auch nach Wagram und Znaim immer wieder von Seite des
Erzherzogs Johann und des Kaisers empfingen, bis zu jenem 29. September, an
welchem dem Tiroler Regenten des Kaisers Ehrenkette und Defensionsgelder
überbracht wurden. Man wird endlich an die Erbitterung erinnern, die die
Verwaltungs-, Religions- und Finanzpolitik des neuen bayrischen Staates erregte.
Aber diese unmittelbaren Antriebe allein vermögen die Erhebung nicht
gänzlich zu klären. Eine Augenblickslage kann eine Erscheinung von
solcher Größe, wie sie die Tiroler Erhebung von 1809 darstellt, nicht
begründen; sondern es ist nötig, tief in der Tiroler Geschichte zu
schürfen und die natürlichen Voraussetzungen des Kriegsgeschehens mit
in die Erwägungen einzubeziehen.
Um gleich mit der Landesnatur einzusetzen, ist vor allem zu sagen, daß das
Lebensgesetz der Berge, zumal des Hochgebirges, ein härteres ist und vom
ganzen Menschen von Jugend auf vollen Einsatz verlangt. Es ist der Kampf mit der
Natur und ihren Gefahren, von der schweren Arbeit, die allein dem Boden das
tägliche Brot abzuringen vermag, angefangen bis zur Meisterung der
Wetterunbilden und der Muren und Lawinen, die Haus und Flur bedrohen und
zerstören.
Dieser Kampf ist ungleich anspruchsvoller als der in der Ebene und etwa dem Kampf
mancher Uferbewohner mit dem Meere vergleichbar. Dazu gesellt sich die Einsamkeit
der Höhen, die den Bauer auf sich selbst bauen heißt, und zwar oft
ganz allein. So erwächst ein starkes und freies Geschlecht, das mit seinem
Gott gar eng verbunden ist und den Ideen, die die Welt bewegen, wenig
zugänglich und ausgesetzt erscheint, das an seinen alten Bräuchen
hält, vom Hausrat bis zur Tracht und zur Sitte der Ahnen. Ein Volk, das die
patriarchalische Sozialordnung bewahrt und rationalistisch-revolutionären
Bewegungen nicht nur unzugänglich ist, sie vielmehr als Feind seiner alten
Welt ablehnt und bekämpft. Ein Volk, auf das der soziale und politische
Freiheitsgedanke nicht wirken kann, weil es von dieser Freiheit, wie wir noch
hören werden, schon längst besaß, als die Französische
Revolution sie erst verkündete.
Geht es hier um das Geistige, so erwies sich darüber hinaus die Landesnatur
als militärischer Bundesgenosse von Rang. Tirol ist eine Felsenburg, fast
nach allen Seiten nur durch schmale Tore von Talengen und Pässen
geöffnet und selbst in ihrem Innern von Schluchten durchzogen, die wie die
Mauern des inneren Burghofs den Gegner, der in den äußeren
eingedrungen sein sollte, am Vordringen hindern. Ein entschlossener Verteidiger
mag so auch regulären Truppen, die in diesen Passagen Kavallerie und
Artillerie nicht entsprechend zu entwickeln vermögen, Widerstand zu leisten
und durch wohlgezieltes Flankenfeuer schwerste Verluste zuzufügen. Nicht
umsonst urteilte Napoleon schon 1796: "Tirol ist ein äußerst
gebirgiges Land und von einem kriegerischen Volke bewohnt." Er suchte auch
später den Gebirgskrieg nach Möglichkeit zu umgehen, nicht zuletzt auf
Grund der Erfahrungen, die sein General Joubert 1797 in Tirol gemacht hat. Er
setzte zunächst 1809 keine Kräfte zur Eroberung des militärisch
als Schlüssel zu Deutsch- und Welschland wichtigen Paßlandes an,
sondern wollte die Entscheidung vor Wien erzwingen. Erst die Tiroler
veranlaßten ihn, immer bedeutendere Kräfte zur "Befriedung"
des Landes abzuordnen. Der bayrische Zivilkommissar Weinbach schrieb an seinen
Chef, Finanzminister Hompesch, daß seiner Meinung nach Tirol nur mit 80.000
Mann und nur dann unterworfen werden könne, wenn diese Kräfte alle
Zugänge zugleich angriffen; ja selbst dann könnte man nur die
Trümmer des Landes behaupten wenn die Befriedung dauernd sein soll. Und
General Deroy schrieb nach der dritten Bergiselschlacht an seinen König:
"Tirol wird wohl schwerlich durch die Gewalt der Waffen unterworfen
werden."
Schließlich ist ein gebirgiges und waldiges Land infolge seiner
Unübersichtlichkeit ein doppelt schwieriges Operationsfeld für den
fremden Angreifer. Hingegen ist die Landeskenntnis von bedeutendem Vorteil
für den Verteidiger. Der Angreifer kann die Nachteile nur dann mindern, wenn
er unter den Heimischen Verräter findet. Er fand sie im Tiroler Lande nicht.
IV.
So kommt es auch hier also zuerst auf den Verteidiger an: auf seine
militärischen Fähigkeiten und vor allem auf seinen Kampfeswillen und
Einsatz. Auf die Idee, an die er glaubt und für die er sich opfert, und auf
den Glauben an den Sieg, der in den Siegen der Väter ebenso wurzelt wie im
Glauben an die gerechte Sache, der er dient. Damit ist auf die g e i s t i g e n
W u r z e l n hingedeutet, die in der Tiroler Geschichte beschlossen sind.
Da steht einmal neben der Anhänglichkeit an Österreich, die wir oben
erörterten, die alte Gegnerschaft gegen den bayrischen Nachbarn zu Buch.
Wenn sie auch in den Fakten im einzelnen dem Volk von 1809 nicht mehr ganz
gegenwärtig gewesen sein mag, im ganzen war sie jedenfalls bewußt.
Zunächst war dieser Gegensatz dynastisch bestimmt gewesen: die Wittelsbacher
hatten, seit ihnen die Habsburger 1363 bei der Gewinnung des Landes den Rang
abgelaufen, immer wieder in den Besitz des tirolischen Nachbarlandes zu gelangen
gesucht und waren dabei sowohl den Weg der kriegerischen Gewalt wie den des
Auskaufs des mit der habsburgischen Hauptlinie entzweiten Tiroler Herzogs aus dem
Hause Österreich gegangen. Dann aber war in den bewaffneten
europäischen Auseinandersetzungen von 1702 und 1805 - beide Male kämpfte
Bayern-Wittelsbach auf Seite Frankreichs - auch das Volk der stammverwandten
Länder von ihm ergriffen worden. Nach 1805 ist er in der Ablehnung der neuen
bayrischen Verwaltung erst recht aufgebrochen; indem diese an die Stelle des
historischen das geographische Einteilungsprinzip setzte und aus den heterogenen
historischen Räumen des durch Napoleons Gnade plötzlich
großgewordenen Bayern einen einheitlichen, zentral von München aus
geleiteten Staat bilden wollte, war sie die lebendige Negation jeder historischen
Eigenständigkeit. Und gerade um diese hat Tirol schon immer gerungen. Durch
Jahrhunderte war Schloß Tirol bei Meran bzw. Innsbruck Sitz einer eigenen
habsburgischen Linie gewesen, und selbst Leopold I., der hoheitsvollste
Habsburger, unter dem der Absolutismus sonst große Fortschritte machte,
anerkannte im Streite zwischen Wien und Innsbruck um die Einhebung einer neuen
Steuer, "daß es mit Tirol gegen die anderen Länder einen
Unterschied habe". Und nun sollte man nicht einmal mehr ein eigenes Land
sein und nur als irgendwelche rein nach Flächeninhalt und Einwohnerzahl
eingerichteten Verwaltungseinheiten Bayerns fungieren, nun sollte der Name Tirol -
soweit überhaupt noch eine amtliche Zusammenfassung der drei Kreise an Inn,
Etsch und Eisack erfolgte - durch Südbayern ersetzt sein. Hatte man schon
den österreichischen Zentralismus Maria-Theresianischer und Josefinischer
Prägung hart ertragen, 1761 dagegen im Meraner Burggrafenamt offen
rebelliert und sich dann am Landtag von 1791 in einer Unzahl von Beschwerden den
Zorn gegen die Verletzung vieler alter Rechte durch den Staat vom Herzen geredet,
so konnte man dem fremden Zentralismus, der das Alte völlig umstürzte
und das Land Tirol selbst verneinte, nur mit der Waffe in der Hand
entgegentreten. Man kämpfte sozusagen um des Landes Vergangenheit.
Es war nicht das erste Mal, daß sich die Gebirgsbewohner um Brenner und
Reschen äußerer Gewalt entgegenstemmten. Als die Römer 15 v. Chr.
diese Talschaften eroberten, trafen sie auf den erbitterten Widerstand der
illyro-keltischen Stämme. Als König Sigmund den Tiroler
Landesfürsten Herzog Friedrich in die Reichsacht tat, weil dieser als
Generalkapitän der römischen Kirche Papst Johann XXXIII. zur Flucht aus
Konstanz verhalf, da standen Bauern und Bürger Tirols treu zum angestammten
Herrn und retteten ihm das Fürstentum. Damals erhielt der Tiroler Adler sein
"Krönl" und zogen Städte und Gerichte zum Lohn für ihre
Tat neben den oberen Ständen in die Landstube ein. Die Landstandschaft der
Bauern ist die Krönung der frühzeitigen Bauernbefreiung im Lande an der
Etsch und im Gebirge, wie sie seit dem späteren 13. Jahrhundert unter
Führung des Landesfürsten, der die Bauern gegen den
unbotmäßigen Adel ausspielte, vor sich gegangen war. Das Erbbaurecht,
die weitgehende Ablösung der leibherrlichen Bindungen und ihres Lastendrucks
und die Selbstverwaltung der Gemeinden sind nach H. Wopfner als ihre
Hauptelemente zu bezeichnen. Und als dann nach des Herzogs Friedrich Tod Kaiser
Friedrich III. sein tirolisch Mündel Sigmund nicht an die Regierung des
Landes lassen wollte, da trotzten die Tiroler Stände, die Bauern mit, dem
Oberhaupt des Hauses Österreich, verwalteten für Sigmund selbst das
Land, bis der Kaiser den jungen Herzog freigab. Als aber dieser Sigmund nicht
würdig sich erwies, da waren wieder sie's, die ihn zur Übergabe seiner
Herrschaftsrechte zwangen.
Im großen Bauernkrieg der Jahre 1525/1526, der wie ein Wirbelsturm
über die süddeutschen Lande vom Rhein bis zur Donau brauste, hat keiner
der vielen Bauernhaufen, die da gegen den neuen Beamtenstaat für das alte
Recht stritten und nicht ohne Bezug auf die evangelische Freiheit sich
Mitverantwortung in Territorium und Gemeinde sichern wollten, seinem
Landesfürsten ein so umfangreiches und vielseitiges Programm vorgetragen
und, wennschon nur vorübergehend, so viel zu erreichen vermocht wie die
Bauern von Tirol. Was ein Mann aus dem Volke, seiner Zeit um Jahrhunderte voraus,
an Zukunftsforderungen zu formulieren wußte, mag die utopische
Landesordnung des Tiroler Bauernführers Michael Gaismayr zeigen.
Die Bauernfreiheit ist eine der grundlegenden Voraussetzungen der Erhebung, zumal
der politischen und wirtschaftlichen Freiheit die für die Kampfkraft
geradezu entscheidende W e h r f r e i h e i t entspricht und dieser der seit dem
14. Jahrhundert oftbewährte Wehrwille des Tiroler Bauerntums zur Seite trat.
Die von O. Stolz gesammelten Nachrichten über das Aufgebot bäuerlicher
Leute zur Grenzverteidigung durch den Landesherrn von Tirol seit etwa 1300 zeigen
den Tatbestand kriegerischen Einsatzes auf. Die Bannerverleihungen an einzelne
Gerichte seit dem 15. Jahrhundert lassen den erfolgreichen Einsatz erkennen.
Daß mindestens seit dem 15. Jahrhundert Aufgebotsordnungen erlassen und das
Aufgebot durch Kreidenfeuer aufgerufen wurde, ja daß seit diesem
Jahrhundert Musterregister und Anschläge vorliegen, zeigt, wie diese Hilfe
unter dem Druck äußerer Gefahren, nicht zuletzt der Türkengefahr,
bald äußere feste Formen annahm. In einer Brixner Urkunde von 1479
wird sogar eine erste Alarmstufe, eilende Hilfe genannt, vom allgemeinen Aufgebot
unterschieden; in einer noch älteren Musterliste aus Gries bei Bozen werden
Wehr und Waffen aufgeführt, die die Bauern auf ihren Höfen zu verwahren
haben. Seit Maximilian I. datieren dann die berühmten Tiroler
Aufgebotsordnungen, die das Tiroler Wehrwesen normierten: das sogenannte
Landlibell von 1511 - das zugleich der Steuerumlegung diente - , ferner die
Zuzugsordnung Erzherzog Maximilians des Deutschmeisters von 1605 und die
Aufgebotsordnung Kaiser Leopolds I. von 1704. Sie sind Versuche der
Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht in Auswahl, das heißt, es
traf in den einzelnen Alarmstufen von 5000, 10.000, 15.000 und 20.000 Mann jeden
20. bis 5. Mann der angesessenen wehrhaften Bevölkerung. Der Auszug erfolgte
in Kompanien nach Gerichten, diese waren unter Viertelshauptleuten
zusammengefaßt, über denen der oberste Feldhauptmann des Landes stand.
Das Aufgebot galt nur zur Verteidigung der Landesgrenze, durfte also nicht
jenseits derselben eingesetzt werden, und auf einen Monat; dann mußte im
Bedarfsfalle die Ablösung der eingesetzten Männer durch andere
erfolgen. Zu dieser ausgewählten Landmiliz, auch Landaufgebot oder Zuzug
genannt, tritt schon 1511 das allgemeine Aufgebot des Landsturms oder
Glockenstreichs, ebenfalls nur zur Landesdefension auf einen Monat. Der Kaiser
warb außerdem, jedenfalls schon seit Maximilian, viele Landsknechte im
Lande, im 18. Jahrhundert ein größeres Scharfschützenkorps und
ein Landregiment, die vor allem für den Einsatz außerhalb des Landes
bestimmt waren. Hingegen bestand in Tirol - zum Unterschied von den anderen
österreichischen und auch deutschen Ländern - keine Konskription, also
Aushebung zum unbeschränkten Militärdienst, wie sie in Österreich
Maria Theresia eingeführt und Josef II., angesichts des Widerstandes der
Bevölkerung, sogar in Tirol einzuführen unternommen hatte. Als Bayern
es wieder versuchte, kam es zu offener Widersetzlichkeit, die dann in die
Kampfhandlungen im Frühjahr 1809 überleitet.
Auf Grund dieser Aufgebotsordnungen hat das Volk von Tirol während des
Spanischen Erbfolgekrieges im Jahre 1703 den bayrisch-französischen Einfall
in Tirol, der, wenn er gelungen wäre, die österreichische Stellung im
Westen aufgerollt und den Kaiser in eine gefährliche Notlage gebracht
hätte, abgewehrt. 1796/1797 haben die Tiroler Schützenkontingente an
der Verteidigung der Südgrenze gegen Napoleons Übermacht ruhmreichen
Anteil. Das erste Mal vermochten sie die infolge Versagens der regulären
Truppen unter General Gschwind eingedrungenen Bayern an der Pontlatzer
Brücke und am Brenner aufzuhalten und mit schwersten Verlusten aus dem Lande
zu treiben. Das zweite Mal unterstützten sie in entscheidender Weise die
Abwehrkämpfe der österreichischen Heeresteile und brachten nach deren
Abzug das französische Korps des Generals Joubert, das als Flankendeckung
des in Kärnten vorbrechenden Buonaparte diesem durch das Pustertal zuziehen
sollte, in schwierigste Lage.
Beide Male waren es die Stände Tirols, die ohne Hilfe, zum Teil sogar gegen
den Widerstand der zivilen und militärischen Behörden, in initiativer
Weise die Gerichte aufboten, waren es adelige und bäuerliche Offiziere, die
die Kompanien zum Siege führten. Diese Erfolge, vor allem das Erlebnis von
1796/1797, das noch in frischester Erinnerung war, mußten Kampfgeist und
Siegeszuversicht der bäuerlichen Streiter von 1809 beflügeln.
Überdies war so mancher, der schon 1797 in vorderster Front gekämpft
hatte - darunter Andreas Hofer, Schützenhauptmann der Passeirer - zwölf
Jahre später wieder dabei.
Die autonome Organisation, aber auch der Wehrwille und die Siegestradition sind
Imponderabilien des Heldenjahres 1809. Im Gegensatz zu anderen deutschen
Ländern, wo, nach einem Wort des Freiheitshelden Dornberg, der Deutsche
einen Befehl seiner Regierungen gebraucht hätte, um sich zu erheben, ist in
Tirol der bewaffnete Einsatz das Volkes zum Schutze des Landes und zur Sicherung
seiner Freiheit begründet in der historischen Überlieferung, mit
blutigen Opfern erkauftes und auf der Liebe zum Lande gründendes Erbe einer
großen G e s c h i c h t e.
Durch Vergleich mit anderen deutschen Ländern, wo diese Überlieferung
mangelte, wo aber auch das Bauerntum nicht zu diesem Rang von wirtschaftlicher,
politischer und wehrhafter Freiheit aufgestiegen, sondern die Adelsherrschaft
über den Bauern aufrechtgeblieben war, wo zum Teil der absolutistische Druck
militärischer Kasten den Geist der Freiheit niederhielt, verstehen wir
besser, warum allein Tirol die Hoffnungen, die der österreichische
Außenminister Johann Philipp Graf Stadion auf die Freiheitsbewegungen
setzte, erfüllen konnte.
VI.
Aber es fehlt noch e in Beleg aus der Geschichte, der uns Haltung und Leistung
der Kämpfer von 1809 erst voll verständlich macht: d a s r e l i g i
ö s e M o m e n t. Die bayerische Kirchenpolitik hatte der barocken
Volksfrömmigkeit aus rationalistischen Gründen den Kampf angesagt und
den Klerus in erster Linie zum Staatsdiener machen wollen. Die Verbote der
Christmette und der Heiligen Gräber, die Verringerung der Feiertage und
Gottesdienste erregten das Bauernvolk nicht nur, weil es am Alten hing sondern
noch viel mehr, weil sie dessen frommen Sinn verletzten. Dem Anspruch des Staates
auf unbedingten Gehorsam des Klerus und auf das Verleihungsrecht der
Pfründen hatten sich die Bischöfe von Chur-Meran und von Trient
widersetzt; sie wurden ausgewiesen, an ihre Stelle traten Staatsvikare, so, wie
in vielen Seelsorgestationen die alten den ausgewiesenen Bischöfen weiter
anhängenden Pfarrer und Kuraten durch zum Teil fremde Staatspfarrer
abgelöst wurden. Durch den Griff nach den kleinen geistlichen Hirten wurde
der Streit mit dem hohen Klerus ins Volk getragen und veranlaßte es, Partei
zu nehmen - neue Erregung war die Folge, die Stellungnahme konnte bei der Ablehnung
der neuen Kirchenordnung nicht zweifelhaft sein. Die Religion schien in Gefahr;
ging es auch nicht gerade um das Wesen des christlichen Glaubens, so war doch die
Freiheit der Kirche bedroht und wurde durch die staatliche Kirchenordnung in
kleinlicher Weise alteingelebtes Brauchtum geschmälert. Dieses Brauchtum war
keine reine Äußerlichkeit, sondern Rahmen und Anlaß, sein
Inneres aus dem Alltag in gemeinsamer Andacht zu erheben. Es wurde hier also die
Religiosität des Volkes angesprochen, wurden jene unwägbaren Werte
getroffen und Regungen der Volksseele berührt, die immer wieder aufbrachen
und den einzelnen in den Kampf trieben.
Erregung im Volk, wennschon nicht in dem Ausmaß wie die staatliche
Kirchenordnung und das Vorgehen gegen die geistlichen Hirten, schuf auch die
Aufhebung der großen Landesklöster. Josef II. hatte sie noch bestehen
lassen, weil sie in Schule und Seelsorge verdienstlich tätig waren; der
bayerische Kirchensturm kannte diese Rücksicht nicht mehr; er stand zu sehr
unter den in der Französischen Revolution wirksamen Zeitideen. Da diese
Klöster viele Seelsorgestationen betreuten, beschränkte sich die
Erregung nicht auf die in unmittelbarer Nähe der Klöster gelegenen
Gemeinden, die an "ihren" Klöstern hingen und aus ihrer
Freigebigkeit manchen Vorteil gezogen hatten. Besonderes Bedauern rief die
Schließung der Kapuzinerklöster im Vintschgau hervor, denn hier traf
es einen Bettelorden, der mit dem bäuerlichen Volk besonders eng
verknüpft war.
Schließlich sah man hinter Bayern immer das napoleonische Monstrum, das
ganz Europa erpreßte und in dem man seit der Kassierung des Kirchenstaates
und der Gefangennahme des Papstes den Antichrist zu sehen gelernt hatte.
Man könnte heute vielleicht daran zweifeln, ob die bäuerliche
Volksfrömmigkeit in der Tat so tief gegriffen habe, daß sie durch die
genannten Maßnahmen essentiell getroffen wurde, und könnte auf die
Fortschritte verweisen, die der Geist der Aufklärung bei den Gebildeten, vor
allem bei Adel und Beamtenschaft, aber auch zum Teil bei der Geistlichkeit in
Österreich schon seit Josef II., ja zum Teil seit Maria Theresia, gemacht
hatte. Aber es ist kein Zweifel - die Haltung des bäuerlichen Volkes nicht
erst 1809 beweist es - , daß die Masse des Volkes von den neuen Ideen
völlig unberührt war. Vergessen wir nicht, daß die
Jesuitenmissionen des 18. Jahrhunderts hierzulande eine tiefgreifende
religiöse Erneuerung gezeitigt und die Wertschätzung der
religiösen Güter noch fester verankert hatten. Johann Rohrer, der
Aufklärung verpflichtet und daher ein umso gewichtigerer Zeuge, schreibt
1796 von der Haltung der Tiroler gegenüber dem Staatskirchentum Josefs II.:
"Das lebhafte Religionsgefühl der deutschen Tiroler, ihre im Angesicht
der ganzen Welt ungeheuchelte Frömmigkeit, ihre ausharrende Geduld in
Unglücksfällen um Christi willen, der gute Wille, der bei jeder noch so
abergläubischen Handlung hervortritt, ringen dem empfänglichen Herzen
Achtung für ihre Person ab zur Zeit, wo sich der Kopf zur Persiflage ihrer
groben Verständnisirrtümer bestimmt fühlt. Man wird sich in einer
solchen Gefühlslage schwer angewinnen können, die deutschen Tiroler um
deswillen geringer zu schätzen, weil sie nicht so geschwinde, als der Geist
eines Josef es wünschte, ihre religiösen Meinungen aus dem Sinn
verloren. noch viel weniger das, was in ihren Augen Religion ist, sich mit dem
ersten Worte aus dem Busen reißen ließen. Schnelle Änderung
dessen, was man für Religion hält, verträgt sich, wenigstens nach
meinem Gefühl, mit der einem guten sittlichen Charakter ganz eigenen
Festigkeit keineswegs!
Dieses Urteil, kurz vor den Befreiungskriegen gefällt, legt nahe, jenen
Beschluß der Stände vom 1. Juni 1796, das Land Tirol in seiner Not dem
göttlichen Herzen Jesu zu weihen und das Gelöbnisfest jährlich zu
begehen, nicht etwa als die Idee eines einzelnen anzusehen, dem sich andere
lediglich aus Konvention anschlossen, sondern als Ausdruck der religiösen
Grundstimmung des damals noch weit überwiegend bäuerlichen Landes zu
betrachten und ihm wenigstens für diese Zeit den Charakter und Namen des
Heiligen Landes zuzugestehen.
Diese religiöse Grundstimmung mußte so in dem Bayernstaat, der sich
nach den rationalistischen Prinzipien französischen Musters neu
organisierte, der mit rauher Hand in den heiligen Bereich seiner Bürger
eingriff und alte Einrichtungen zerstörte, den Feind alles geschichtlich
Gewordenen erkennen lassen. Sie ist so eine der Voraussetzungen des
Freiheitskampfes, sie war es schon 1796/1797 und ist es 1809 erst recht.
Darüber hinaus erklärt sich aus ihr wie aus der bäuerlichen
Zähigkeit im Festhalten an einmal gefaßten Zielen, daß die
Übermacht des Feindes und die schwersten Schicksalsschläge das
Vertrauen auf den endlichen Sieg der gerechten Sache nicht zu erdrücken
vermochten.
Die religiöse Grundstimmung ist aber auch als Erklärung mit
heranzuziehen dafür, daß das Tiroler Bauernvolk im wesentlichen seine
Siege nie mißbrauchte und, wie Franz Kolb sich ausdrückt,
staunenswerte Mäßigung gegenüber einem mitunter sehr schuldbaren
Feinde bewies. Die französische Literatur der Befreiungskriege weist auf die
verderbliche Auswirkung der Brandschatzung und Schändung durch die
französisch-bayrischen Truppen auf die Stimmung in Tirol hin und stellt der
menschlichen Haltung der bäuerlichen Gegner das beste Zeugnis aus. Der
bayrische Hofkommissar Graf Thürheim berichtet 1810 an seinen König:
"Während meiner Anwesenheit in Tirol habe ich mich überzeugt,
daß unter den Eingeborenen der Wunsch, unter Österreichs Herrschaft
zurückzukehren, allgemein war. Ich will damit auf die Nation keinen Tadel
werfen, als ob vielleicht Redlichkeit und Moralität bei ihr selten sei; im
Gegenteil, es gibt nicht nur unter den Gebildeten, sondern vorzüglich auch
unter den angesessenen Bauern eine große Anzahl von Familien, die durch
Rechtlichkeit und Biedersinn achtungswürdig sind, und bei allen Klassen
kamen schöne Züge der Menschlichkeit und des Edelmutes gegen die
verwundeten Soldaten vor. Dem ganzen Volke muß man zum Lobe nachsagen,
daß es gutmütig und unverdorben ist."
W i r f a s s e n z u s a m m e n: Der Tiroler Freiheitskampf ist der
Zusammenstoß zwischen der alten, volksfrommen und volksfreien Welt eines
traditionsbewußten Bauernvolkes mit dem rationalistischen, die
Vergangenheit verneinenden, zentralistischen Staat. Er war deshalb so hart und
blutig, weil er ein Teil des österreichischen Freiheitskampfes ist und weil
sich in ihm Landesnatur und Mensch zu starker Abwehrkraft vereinten. Das Jahr
1809 ist die Krone tirolischer Geschichte! Allein die Geschichte des Landes
vermag uns zu sagen, woher Freiheitssinn und Siegeszuversicht, kämpferisches
Wollen und Können, Opfersinn und Todesbereitschaft bis zum
äußersten herzuleiten sind. Die Führergestalten sind Inkarnation
dieser Haltung bis in den Tod. Hinter ihnen steht der Glaube, daß auf
dieses Leben ein anderes, unvergleichliches folgt.
Das Tiroler Volk hat 1809 Europa ein Beispiel dafür gegeben, wie ein Volk,
das in reinem Wollen das Letzte einsetzt, unmöglich Erscheinendes zu
erreichen vermag. Gebe Gott, daß dieses Land in seinen Bauernsippen - und
ihnen erwächst angesichts dieser Tatsachen eine gewaltige Verpflichtung -
auch in Zukunft ein Kraftquell geistiger, vor allem seelischer Erneuerung sei und
bleibe in unserer dem Stofflichen zugeneigten, durch die Enttäuschungen
zweier Kriege dem Heldischen wie dem Jenseitigen so sehr entfremdeten Welt!
Tiroler Heimat, 24.Band, 1961. s.101-110.
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